Max-Engels-Werke (MEW) Band 3
Die deutsche Ideologie, Marx: Thesen über Feuerbach
Aus dem Inhalt: Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, Marx: Thesen über Feuerbach.
Die Marx-Engels-Werke (MEW) erscheinen seit 1956 im Dietz Verlag. Sie sind bis heute die meist zitierte Studienausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels. Seit 2006 erfolgt die Herausgabe der Marx-Engels-Werke durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ab 2025 erscheinen Nachdrucke vergriffener Bände nur noch als Paperback im gleichen Format, mit Fadenheftung und gleicher Farbigkeit.
Aus dem Inhalt:
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, Marx: Thesen über Feuerbach
Analyse der Deutschen Ideologie und der Kritik am Junghegelianismus
Auf der Grundlage der Ausgabe von 1978
Zusammenfassung
Dieses Briefing-Dokument synthetisiert die zentralen Thesen und Argumente aus den bereitgestellten Auszügen, die sich primär mit Karl Marx' und Friedrich Engels' Werk „Die deutsche Ideologie“ befassen. Das Kernthema ist die revolutionäre Umwälzung der Philosophie durch die Begründung des historischen Materialismus. Im Kern wird argumentiert, dass nicht das Bewusstsein das Sein, sondern das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Das Dokument gliedert sich in drei Hauptteile: erstens, die Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung als Gegenentwurf zum deutschen Idealismus; zweitens, die detaillierte und scharfe Kritik an den Hauptrepräsentanten der junghegelianischen Philosophie – Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer („Sankt Bruno“) und Max Stirner („Sankt Max“); und drittens, die Auseinandersetzung mit dem „wahren Sozialismus“ als einer ideologischen Verklärung proletarischer Bewegungen.
Die zentrale Schlussfolgerung, die sich durch die Analyse zieht, ist in der elften These über Feuerbach prägnant formuliert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Diese Maxime markiert den Bruch mit der gesamten bisherigen Philosophie und betont den untrennbaren Zusammenhang zwischen Theorie und revolutionärer Praxis. Die Kritik an Feuerbach, Bauer und Stirner dient dazu, die Unzulänglichkeiten der spekulativen Philosophie aufzuzeigen, die unfähig ist, die materiellen Verhältnisse zu erfassen und stattdessen in der Auseinandersetzung mit reinen Gedankenkonstrukten („Gespenstern“, „dem Heiligen“) verharrt.
1. Die Grundlegung des Historischen Materialismus
Das zentrale Anliegen der in den Quellentexten vorgestellten Werke ist die Ausarbeitung einer neuen wissenschaftlichen Methode zur Analyse der Gesellschaft: des historischen Materialismus. Dieser Ansatz stellt einen radikalen Bruch mit der bis dahin vorherrschenden deutschen idealistischen Philosophie dar.
1.1. Abkehr von der spekulativen Philosophie
Marx und Engels kritisieren die gesamte deutsche Philosophie nach Hegel dafür, dass sie den Boden der Philosophie nie verlassen hat. Die Junghegelianer, so die Kritik, protestieren zwar gegen die „Herrschaft der Gedanken“, tun dies aber innerhalb des Denkens selbst. Sie glauben, dass Ideen die wirkliche Welt beherrschen, und ihr Kampf beschränkt sich darauf, diese Ideen durch andere zu ersetzen.
Die Menschen haben sich bisher stets falsche Vorstellungen über sich selbst gemacht, von dem, was sie sind oder sein sollen. [...] Befreien wir sie von den Hirngespinsten, den Ideen, den Dogmen, den eingebildeten Wesen, unter deren Joch sie verkümmern. Rebellieren wir gegen diese Herrschaft der Gedanken.
Die Autoren stellen fest, dass keinem dieser Philosophen eingefallen sei, „nach dem Zusammenhange der deutschen Philosophie mit der deutschen Wirklichkeit, nach dem Zusammenhange ihrer Kritik mit ihrer eignen materiellen Umgebung zu fragen“.
1.2. Die materiellen Voraussetzungen der Geschichte
Im Gegensatz zur idealistischen Spekulation beginnen Marx und Engels mit „wirklichen Voraussetzungen“, die auf rein empirischem Wege feststellbar sind:
- Die wirklichen Individuen: Nicht der abstrakte „Mensch“, sondern konkret handelnde Individuen.
- Ihre Aktion: Ihre materielle Tätigkeit zur Produktion ihrer Lebensbedingungen.
- Ihre materiellen Lebensbedingungen: Sowohl die vorgefundenen als auch die durch ihre eigene Tätigkeit erzeugten.
Die erste Voraussetzung aller menschlichen Existenz und somit aller Geschichte ist die Produktion des materiellen Lebens selbst.
...die Voraussetzung, daß die Menschen imstande sein müssen zu leben, um „Geschichte machen" zu können. Zum Leben aber gehört vor Allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges Andere. Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst...
Die Produktionsweise und die damit verbundene Weise des Zusammenwirkens („Verkehrsform“) bedingen den gesellschaftlichen Zustand. Daher muss die „Geschichte der Menschheit“ stets im Zusammenhang mit der „Geschichte der Industrie und des Austausches“ studiert werden.
1.3. Bewusstsein als Produkt des Seins
Die Produktion von Ideen, Vorstellungen und Bewusstsein ist unmittelbar mit der materiellen Tätigkeit und dem materiellen Verkehr der Menschen verflochten. Das Bewusstsein ist nichts anderes als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess.
Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.
Ideologie, Religion, Moral und andere geistige Produktionen sind somit kein eigenständiges Reich, sondern „direkter Ausfluß“ des materiellen Verhaltens der Menschen. Die wirkliche, praktische Auflösung theoretischer Phrasen erfolgt durch die Veränderung der Umstände, nicht durch theoretische Deduktionen.
2. Kritik an Ludwig Feuerbach
Obwohl Feuerbach als der einzige Junghegelianer anerkannt wird, der „wenigstens einen Fortschritt gemacht hat“, wird seine Philosophie einer grundlegenden Kritik unterzogen.
- Passiv-anschauender Charakter: Der wesentliche Mangel des Feuerbachschen und des gesamten vorangegangenen Materialismus ist sein Unverständnis für die „revolutionäre, praktisch-kritische Tätigkeit“. Feuerbach fasst die Sinnlichkeit nicht als „praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit“.
- Abstrakter Mensch: Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber dieses „menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Da Feuerbach diese wirklichen Verhältnisse nicht kritisiert, ist er gezwungen, von der Geschichte zu abstrahieren und ein „abstrakt - isoliert - menschliches Individuum“ vorauszusetzen.
- Trennung von Materialismus und Geschichte: Soweit Feuerbach Materialist ist, kommt die Geschichte bei ihm nicht vor, und soweit er die Geschichte betrachtet, ist er kein Materialist. Bei ihm fallen Materialismus und Geschichte auseinander.
Die entscheidende Differenz wird in der elften These über Feuerbach zusammengefasst:
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.
Diese These formuliert den grundlegenden Unterschied zwischen der marxistischen Theorie und aller früheren Philosophie und unterstreicht ihren aktiven, umgestaltenden Charakter und ihre untrennbare Verbindung mit der revolutionären Praxis.
3. Die Auseinandersetzung mit dem Junghegelianismus: „Das Leipziger Konzil“
Unter dem Titel „Das Leipziger Konzil“ wird eine satirische und vernichtende Kritik an den Hauptfiguren der junghegelianischen Bewegung, Bruno Bauer und Max Stirner, entfaltet. Sie werden als „Kirchenväter“ dargestellt, die in einem „heiligen Krieg“ um abstrakte Begriffe wie „Substanz“, „Selbstbewußtsein“ und den „Einzigen“ kämpfen.
3.1. Sankt Bruno (Bruno Bauer)
Bruno Bauer wird als der „Napoleon des Geistes“ karikiert, der sich in sein „Selbstbewußtsein“ hüllt und die Welt durch die „reine Kritik“ zu beherrschen glaubt.
- Kritik als Selbstzweck: Bauers Polemik gegen Feuerbach wird als Versuch entlarvt, seine eigene, in Vergessenheit geratene „Kritik“ wieder ins Gespräch zu bringen. Er deckt seinen Selbstzweck „unter dem Schein, als wolle er Feuerbach ‚charakterisieren‘“.
- Theologische Tautologien: Bauers Philosophie wird als eine Reihe trivialer logischer Sprünge und Tautologien dargestellt, die sich auf die „Selbstunterscheidung des Menschen im Denken“ reduzieren. Seine „Persönlichkeit“ ist lediglich die „Abstraktion von einer Abstraktion“.
- Ausbeutung Stirners: Es wird aufgezeigt, dass Bauers Kritik an Feuerbach größtenteils aus einer ungeschickten Kopie der Vorwürfe besteht, die Stirner zuvor sowohl gegen Feuerbach als auch gegen Bauer selbst erhoben hatte.
3.2. Sankt Max (Max Stirner)
Die Kritik an Max Stirners „Der Einzige und sein Eigenthum“ nimmt den größten Raum ein. Stirner, auch als „Jacques le bonhomme“ oder „Sankt Sancho“ bezeichnet, wird als der Philosoph dargestellt, der die idealistische Philosophie zu ihrem absurden Höhepunkt führt.
Die Methode Stirners
Stirners Methode besteht darin, die Welt der Dinge und Gedanken in bloße „Gespenster“, „Sparren“ oder „fixe Ideen“ zu verwandeln, die der „Einzige“ in seinem Bewusstsein überwindet, um ihr „Eigner“ zu werden. Seine Geschichtskonstruktion wird als eine ungeschickte und unwissende Paraphrase Hegels entlarvt.
| Stirners Schema | Interpretation |
| I. Das Kind / Die Alten / Neger | Realismus, Abhängigkeit von den Dingen, die materielle Welt. |
| II. Der Jüngling / Die Neuen / Mongole | Idealismus, Abhängigkeit von Gedanken, die Welt des Geistes. |
| III. Der Mann / Der Einzige / Kaukasier | Egoismus, Eigner von Dingen und Gedanken, der „vollendete Christ“. |
Kritik der Inhalte
- Der Einzige: Der „Einzige“ ist kein konkretes Individuum, sondern eine leere Abstraktion, das „schöpferische Nichts“, das Ergebnis einer rein philosophischen Konstruktion. Er ist der Gipfel des Solipsismus, der alle realen Verhältnisse in bloße Vorstellungen des Ich auflöst.
- Der Verein: Stirners Alternative zur Gesellschaft, der „Verein von Egoisten“, wird als eine kleinbürgerliche Utopie kritisiert, die die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft (Privateigentum, Teilung der Arbeit, Geld) beibehält und sie nur durch eine neue egoistische Interpretation verklärt.
- Ignoranz gegenüber der Realität: Stirner wird eine tiefgreifende Unkenntnis der realen Geschichte, der politischen Ökonomie und der sozialen Bewegungen vorgeworfen. Seine Kritik an Staat, Recht und Eigentum richtet sich nicht gegen die realen Verhältnisse, sondern gegen deren ideologische Erscheinungsformen („das Heilige“).
- Die Logik des „Heiligen“: Stirners gesamte Kritik reduziert sich darauf, reale Verhältnisse (Staat, Recht, Eigentum, Moral) in „das Heilige“ zu verwandeln, um sie dann durch eine einfache Antithese („Ich“ gegen „den Menschen“, „Eigenheit“ gegen „Freiheit“) im Gedanken zu überwinden.
4. Materialistische Geschichtsauffassung in der Praxis
Die Auszüge illustrieren die Anwendung des historischen Materialismus auf die Entwicklung der Gesellschaft.
- Entwicklung der Eigentumsformen: Die Geschichte wird als eine Aufeinanderfolge von Generationen beschrieben, die jeweils die überkommenen Produktionskräfte und Kapitalien exploitiert. Dies führt zur Entwicklung verschiedener Eigentumsformen: vom naturwüchsigen ständischen Kapital über das mobile Kapital der Kaufleute und Manufakturen bis zum industriellen Kapital der großen Industrie.
- Die Rolle der Teilung der Arbeit: Die Teilung der Arbeit ist ein zentraler Motor der geschichtlichen Entwicklung. Sie führt zur Entstehung von Manufakturen, zur Trennung von Stadt und Land und zur Herausbildung von Klassen. Die Individuen werden unter die Teilung der Arbeit subsumiert, was erst durch die „Aufhebung des Privateigentums und der Arbeit selbst“ beseitigt werden kann.
- Entstehung der großen Industrie: Die durch die Ausdehnung von Handel und Manufaktur geschaffene, den Produktivkräften überwachsende Nachfrage rief die große Industrie hervor. Diese „universalisierte die Konkurrenz“, schuf den modernen Weltmarkt, unterwarf die Naturwissenschaft dem Kapital und löste alle naturwüchsigen Verhältnisse in Geldverhältnisse auf.
- Bourgeoisie und Proletariat: Die große Industrie schuf die moderne Bourgeoisie und zugleich eine Klasse, „die bei allen Nationen dasselbe Interesse hat und bei der die Nationalität schon vernichtet ist“ – das Proletariat.
- Der Staat: Der Staat wird als die Form definiert, „in welcher die Individuen einer herrschenden Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen und die ganze bürgerliche Gesellschaft einer Epoche sich zusammenfaßt“. Gesetze beruhen nicht auf einem „freien Willen“, sondern sind der Ausdruck der realen materiellen Verhältnisse der herrschenden Klasse.
5. Kritik am „Wahren Sozialismus“
Die Texte enthalten eine scharfe Kritik am sogenannten „wahren Sozialismus“, einer in Deutschland aufkommenden Strömung.
- Philosophische Verklärung: Die „wahren Sozialisten“ werden dafür kritisiert, dass sie die kommunistische Literatur Frankreichs und Englands nicht als Ausdruck einer realen Bewegung verstehen, sondern als rein theoretische Schriften, die aus dem „reinen Gedanken“ entstanden seien. Sie verquicken diese Ideen mit ihren deutsch-philosophischen Voraussetzungen.
- Vom Realen zum Abstrakten: Anstatt von den wirklichen Menschen und ihren materiellen Verhältnissen auszugehen, übersetzen sie die französischen sozialistischen Ideen in die Sprache der deutschen Philosophie. So wird aus den realen Klassenverhältnissen eine Frage des „menschlichen Wesens“.
- Nationale Borniertheit: Der „wahre Sozialismus“ wird als eine nationale deutsche Angelegenheit entlarvt, die vorgibt, dem „unwissenschaftlichen“ und „rohen“ Empirismus der Franzosen und Engländer die „deutsche Wissenschaft“ entgegenzusetzen und erst den „absoluten, den wahren Sozialismus“ zu enthüllen.
- Fallbeispiel Karl Grün: Karl Grün wird als Paradebeispiel eines „wahren Sozialisten“ vorgeführt. Es wird detailliert nachgewiesen, dass sein Buch über die soziale Bewegung in Frankreich größtenteils auf unkritischen und fehlerhaften Abschriften aus den Werken anderer (Lorenz von Stein, Moses Heß, Cabet) beruht, die er mit belletristischen Phrasen über das „Wesen des Menschen“ ausschmückt.
- Fallbeispiel Georg Kuhlmann: Dr. Georg Kuhlmann aus Holstein wird als spiritualistischer Charlatan und „sozialistischer Wunderschäfer“ dargestellt, der verkommene philosophische Phrasen als „Verkündigung“ einer „Neuen Welt“ präsentiert, um sich bei den deutschen Handwerkern in der Schweiz persönliche Vorteile zu verschaffen.
6. Editorische Anmerkungen zum Quellenwerk (MEW Band 3)
Die Quellentexte enthalten auch ein Vorwort des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, das die editorischen Prinzipien des Bandes erläutert. Diese Informationen bieten Kontext zur Aufbereitung der Manuskripte.
- Quellentreue: Die Texte wurden nach Originalen überprüft.
- Modernisierung: Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden, soweit vertretbar, modernisiert.
- Anmerkungen: Fußnoten von Marx und Engels sind mit Sternchen gekennzeichnet, während redaktionelle Fußnoten durch Ziffern markiert sind. Ein Apparat aus Anmerkungen, Personen- und Literaturverzeichnissen dient der Erläuterung.
- Kennzeichnung: Wörter in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Gestrichene Passagen im Originalmanuskript sind teilweise im Text wiedergegeben und als solche markiert.
Erstellt: 07.05.2014 - 17:56 | Geändert: 06.11.2025 - 23:53
